MARIA HAHNENKAMP "Ohne Titel"
5. Mai 2022

„Je schlichter das Bild, desto größer die Träume“ –
Textbilder von Maria Hahnenkamp leiten das Publikum bereits eingangs in die Vorstellungswelt der Künstlerin, stimmen ein in ihre reduzierte, nichts desto trotz ebenso sinnliche wie visuell reiche Formensprache.
Ornament“, 2012 / 2015
Weissglas mit Sandstrahlung in flach und in mittlerer Tiefe, Harman Barytpapier kaschiert auf Dibond, gerahmt 70,5 x 90,5 cm
1/3 + 2 AE
Präsentiert werden verschiedene Werkgruppen, neben einer neuen Serie von "Schattenbildern" werden auch seltene, bearbeitete Fotoarbeiten, Textbilder, Steingipsbohrungen und Parfum-Devotionalien gezeigt, sowie - erstmals in einem privaten Rahmen - eine Ornamentbohrung direkt an der Wand.
„Die Gegenwart ist voller Echos aus der Vergangenheit“
(Zit.:Gaston Bachelard aus: Poetik des Raumes,
Deutsche Ausgabe: Poetik des Raumes. Übers. von Kurt Leonhard, München: Hanser, 1975. (als Taschenbuch: F/M: Fischer, 1997. [fi 7396])
–––– Franz. Original: La Poétique de l’éspace. Paris, 1957)
Zur Ausstellung schrieb Margareta Sandhofer:
In medias res fallen die AusstellungsbesucherInnen beim Betreten der Galerie, denn Maria Hahnenkamp stellt im Entree anhand von fünf Textbildern unvermittelt eine verbalisierte Essenz der Thematik ihrer Ausstellung in den Raum:
„Und dass es hier nichts zu sehen gibt, es sei denn, rein intensiv.“ (Eva Meyer, in: „Trieb und Feder“) – „Weniger als Nichts" Francoise Morellet, (in: „Ironie / Geometrie / Leinwände weiße Malerei“ (Katalog Saarlandmuseum 1991)) – „Je schlichter das Bild, desto größer die Träume.“ – „Man muß alles wegnehmen, damit sich ein neues Fenster öffnet.“ – „Die Gegenwart ist voller Echos aus der Vergangenheit.“ (Die Zitate stammen aus dem Buch von Gaston Bachelard „Poetik des Raumes".) Die Texte sind mittig am unteren Rand platziert, gleich Untertiteln zu einem Film, der rein weiß ist, reines Licht oder reine Leere. Direkt und zielgerichtet bringt Maria Hahnenkamp zur Sprache, was die BesucherInnen in den weiteren Galerieräumen erwartet – mit einer Ausnahme, und als solche soll diese kurzerhand vorweg genommen sein:
In den repräsentativen Räumen der Galerie stehen zwei „Parfum-Devotionalien“ als einzige farbige Elemente im Kontrast zu den hier versammelten rein weißen Arbeiten. Zwischen den subtilen planen Flächen der weißen Papierarbeiten und der behutsam bearbeiteten Steingipsplatten setzen die beiden Objekte, das eine altrosa, das andere dottergelb, pointierte und plastische Akzente und aktivieren den Raum. Der ursprüngliche Sockel von Parfumflacons, wie er in den 1990er Jahren noch Teil der edlen Verpackungen war, ist demontiert, jeweils gerahmt und durch einen Glassturz geschützt. Das Parfum selbst fehlt, doch sein eigentlicher Gehalt, der Inbegriff des Luxuriösen ist betörend gesteigert: Um die ursprüngliche Standfläche des Flacons, eine Plastikform, deren sinnliche Höhlung mit dottergelber bzw. rosa Seide beflockt ist, ist ein blattvergoldeter Rahmen gelegt, der Glassturz darüber ist nach Maß gefertigt, von Mund geblasen. Es ist nicht der nicht vorhandene Flacon, den Maria Hahnenkamp in paradoxer Theatralik feiert und zugleich intim und erotisch inszeniert, sondern seine Abwesenheit.
Abwesend sind auch die ProtagonistInnen oder Motive der „Schattenbilder“, welche die Textbilder im Entree flankieren. Denn Maria Hahnenkamp hat aus ursprünglichen Fotos ihrer Kindheit die geworfenen Schatten filtriert, die schattenwerfenden Personen oder Gegenstände, sämtliche Elemente der Szenerie sind eliminiert. Was bleibt, sind schwarze abstrakte Elemente.
Der radikale Rückzug des Körpers, der sich jeder Kenntlichkeit entzogen hat, lässt nichts zurück als leere rätselhafte Flächen in reinem Weiß. Gleich Leerstellen zwischen den tiefschwarzen Elementen ziehen sie den betrachtenden Blick in eine weiße Leere. Doch ist diese weiße Erscheinung nicht erlösend, auch nicht traurig, sondern gänzlich formentleert und sinnentleert, vage und vor allem leer.
In der Arbeit „Abgeschmirgelt und Zusammengenähte Fotos“ hat Maria Hahnenkamp ihr Thema noch weitergetrieben, zu einem Nichts des reinen Lichts. Alles Abgelichtete ist durch das Abschleifen der Oberflächen aus den sorgsam vernähten Fotoabzügen gelöscht, lediglich ein zurückhaltender ocker-farbiger Schimmer am Rand lässt eine einst vorhandene Schicht erahnen, lässt den Betrachter aber ob dem ehemalig Dargestellten zur Gänze im Unklaren.
Maria Hahnenkamp hat ein Faible für Vorlagenbücher des 19. Jahrhunderts, aus welchen sie Motive und Ornamente entnimmt und daraus ihr spezifisches Formenvokabular entwickelt. Die zwei Arbeiten der Mandorlen haben ihren Ursprung in Vorlagen für schmückende Kirchenausstattung des 19. Jahrhunderts. In der makellosen weißen Oberfläche von gegossenen Steingipsplatten sind feine punktuelle Bohrungen getätigt, die für das betrachtende Auge zu Linien zusammenfließen. Sie bilden ein mandelförmiges Element als zentrales Motiv. Innerhalb dessen verbinden sich die weiteren Bohrungen zu Kringeln und Ranken, welche die Form der Mandorla oder einer Vulva gleich einem Dekor füllen, als neutrales Muster. Das ganze Motiv changiert zwischen Gegenständlichkeit, Symbol und reinem Ornament, räumlich nicht zu verorten und in seinem Wesen nicht zu greifen, gleichsam in der Schwebe einer zeichenhaften Zwischenwelt.
Ehemalige Passepartouts, die Maria Hahnenkamp mit ähnlichem Rankenwerk bestichelt hatte, sind ihrer vormaligen rahmenden Funktion enthoben. Orthogonal in Stücke geschnitten, sind sie neu geordnet, an ihren Kanten aneinandergeschoben und neuerlich durchbohrt, diesmal mit einem strengen geometrischen Muster, das seinen Ursprung in islamischen Ornamenten hat. In „Passepartout bestichelt“ überschneiden und überlappen sich die religiösen wie zeitlichen Kategorien. Das katholische Ornament des 19. Jahrhunderts ist zerstückelt, das islamische aus dem 9. Jahrhundert durchkreuzt das Stückwerk und hat in manchen Arbeiten die Dominanz gewonnen. Eine inhaltliche Interpretation ist nicht gezielt angestrebt, Maria Hahnenkamp geht es um das Ineinandergreifen von Flächen und Räumen.
Die Rocaille ist für eine Reihe von Maria Hahnenkamps Werken der Ausgangspunkt gewesen, doch hätte sie sich nicht weiter davon entfernen können:
Die üppige Fülle des Rokoko-Elements ist in der Serie der punktuell bebohrten Steingipsplatten „O.T.“ in ihr Gegenteil mutiert: Der illusionierten oder tatsächlichen Dreidimensionalität der Rocaille sind ihre Plastizität und ausufernde Fülle genommen. Die bizarren phantastischen Formen der Rocaille mit ihren vielfältigen Deutungsmöglichkeiten sind radikal reduziert, zu etwas, das kaum künstlerische Geste ist, mehr ihre Spur, die ihr Schweigen zelebriert, nicht mehr sein will als das: eine vermeintliche Linie in der Leere, frei von Deutungszwang – und verbleibt in konzentrierter Stille.
Maria Hahnenkamp löst das Lineare auf zu Punkten, die nicht mal Punkte sind, deren Präsenz sich nämlich in der Negativform der einzelnen punktförmigen Lochung behauptet, in einer Abwesenheit. Die Lochungen sind abwesende Segmente, deren Volumina sich in kleinsten Höhlungen spiegeln, gleich einem minimalen Abdruck, der Spur von etwas, das nicht mehr vorhanden, entschwunden oder entwichen ist.
Die einzelne Platte gleicht einem Denkmal, einem musealen Stück einer historischen Sammlung, seiner möglicherweise früheren Farbigkeit beraubt, einem Fragment, das seine einstige Bedeutung nicht mehr zulässt. Die maximale Neutralität der Fläche, der Verzicht auf die Geste, auf jede Emotionalität lässt die Arbeit souverän erscheinen, zugleich als leere Materie.
Ein fünfteiliges Werk aus Steingipsplatten ist in einer losen Gruppe in unterschiedlichen Winkeln an der Wand montiert, als hätte ein Luftzug die einzelnen Platten auseinandergetrieben. Das betrachtende Auge sucht die einzelnen Arbeiten zu einem großen Ganzen zu schließen, doch fehlen einzelne Teile. Es bleiben fünf Segmente, vereinzelt und isoliert mit ihrem eigenen Sinn und ihrer eigenen Logik.
Der reich ausgefranste Rahmen der ursprünglichen Rocaille ist reduziert auf Fragmentarisches, bis zum puristischen, nicht einmal mehr linearen Segment. Das eigenwillige Leben, die raumgreifende Geste der Rocaille, ist einer anderen Zuständlichkeit gewichen, einem Sein, das nicht mehr im Raum, sondern in der Leere ist, taumelnd im Nichts des reinen Lichts. Letztlich ist es die Leere, die Maria Hahnenkamp zelebriert, maßlose puristische Geistigkeit – „der weiße, freie Abgrund, die Unendlichkeit.“
(Aus einem Zitat von Kasimir Malewitsch, auf das Maria Hahnenkamp hingewiesen hat. (In: Derek Jarman, Croma – ein Buch der Farben, Merve Verlag Berlin, 1955))